Sandrart.net

Sandrart.net, Unter der wissenschaftlichen Leitung von Thomas Kirchner und Alessandro Nova, durchgeführt von Anna Schreurs und Thorsten Wübbena, technisch realisiert von Carsten Blüm (ed.), 2012. http://www.sandrart.net/ (Last Accessed: 06.05.2014). Reviewed by orcid-icon Patrick Sahle (Institute for Documentology and Scholarly Editing), sahle@uni-koeln.de. ||

Abstract:

Sandrart.net describes itself as a ‘research platform for the history of art and culture of the 17th century’. It is a digital edition of Joachim von Sandrart’s magnum opus, the ‘Teutsche Academie’, published between 1675 and 1680 in a German and between 1680 and 1684 in a Latin version. Facsimiles and full texts for both publications are provided as well as a bibliography and additional texts. Browse and search functionalities allow for easy access. Particular emphasis lies on commenting the text and identifying entities such as places, works of art or persons, for which extensive dossiers are provided. These kind of information can also be downloaded as raw XML and as semantic data expressed in RDF. The project undoubtedly marks the state of the art in the critically digitizing and editing 17th century prints.

1Sandrart.net, eine netzbasierte Forschungsplattform zur Kunst- und Kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts, unter der wissenschaftlichen Leitung von Thomas Kirchner und Alessandro Nova, durchgeführt von Anna Schreurs und Thorsten Wübbena, technisch realisiert von Carsten Blüm, Kunstgeschichtliches Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Projektlaufzeit 2007-2012.

2Sandrart.net ist eine Online-Edition der ‘Teutschen Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste’, dem zwischen 1675 und 1680 in mehreren Teilen erschienenen kunstliterarischen Hauptwerk Joachim von Sandrarts (1606-1688) sowie der zwischen 1680 und 1684 in drei Bänden publizierten lateinischen Übersetzung und Überarbeitung davon. Die im Rahmen eines insgesamt fünfjährigen DFG-Projektes entstandene Edition ist vor allem kunsthistorisch ausgerichtet. Sie wurde in Kooperation zwischen dem kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main, dem Kunsthistorischen Institut in Florenz (Max Planck Institut), dem Städel-Museum und dem Historischen Museum in Frankfurt und weiteren Einrichtungen sowie einer Reihe von externen Fachwissenschaftlern erarbeitet.

Abb. 1: Joachim von Sandrart, TA 1675, I, Titelseiten, S. 8.

3 Sandrarts Hauptwerk bildet für die kunsthistorische Forschung eine zentrale Quelle, die vielfältig mit anderen Texten und Kunstwerken verbunden ist. Die Edition konzentriert sich auf das vorliegende Werk und seine Tiefenerschließung, weniger auf Vortexte, Kontexte oder andere Werke aus dem Œuvre Sandrarts. Im Sinne einer werkbezogenen Tiefenerschließung wurden dabei allerdings naheliegende bibliografische und biografische Informationen sowie solche zu den von Sandrart behandelten Kunstwerkeneinbezogen.

Abb. 2: Werktitel und Illustration zur ars mensura, TA 1675, I, Buch 1 (Architektur), S. 7.

4 Die Edition bietet die deutsche Fassung der ‘Teutschen Akademie’ als Faksimile und als Volltext mit insgesamt 1612 Seiten. Einzelne Seiten wurdenvon kooperierenden Wissenschaftlern ins Französischeübersetzt, ein Abschnitt auch insItalienische. Die lateinische Ausgabe mit 1074 Seiten wird ebenfalls als Faksimile und Volltext angeboten.Besonders reichhaltig sind die Register zu Personen (5.163 Einträge), Orten (2.047 Einträge) und Kunstwerken (5.145 Einträge) sowie die Bibliografie (2.462 Einträge). Die hier versammelten Textstellen und Informationseinheiten sind zudem mit weiteren Angaben angereichert. Der Text selbst ist sachlich kommentiert, es gibt 5.430 namentlich gekennzeichnete Kommentare zum Text sowie weitere 1.760 Kommentare zu Quellentexten. Die Inhalte sind grundsätzlich frei zugänglich, nur für einen Teil der zur Illustration eingebundenen Abbildungen von angesprochenen Kunstwerken im Kunstwerke-Index ist aus urheberrechtlichen Gründen eine Registrierung nötig, da sie auch aus externen Quellen stammen.

5Die Qualität der digitalen Abbildungen ist gut. Zwar gibt es keine großen Zoomreserven, doch ist dies bei einem gedruckten Buch der vorliegenden Qualität zunächst unproblematisch. Die Faksimiles sind genauso gut lesbar wie die Vorlage – aber eben auch nicht besser. Für die Kupferstiche hätte es Sinn gemacht, ein Zooming jenseits der ‘100%’ (das sind rund 1300*2000 Pixel und unter 150dpi) anzubieten.Die Archivaufnahmen haben eine Qualität, die diese Option eröffnet, so dass sie vielleicht in der Zukunft noch genutzt werden könnte. Der Volltext wurde eher quellennah transkribiert und weist nur maßvolle, gut begründete Eingriffe auf. Das Vorgehen bei der Textbehandlung ist ebenso gut dokumentiert wie das Projekt insgesamt und viele seiner konzeptionellen und technischen Aspekte. Dies sollte in einem wissenschaftlichen Projekt selbstverständlich sein, wird im digitalen Bereich aber oft nicht erfüllt. Die Dokumentation des sandrart.net verdient deshalb eine besondere, lobende Erwähnung.

6Die Edition hat ihren Schwerpunkt nicht in der kritischen Textbehandlung oder der Beleuchtung der Werkgenese. Der Drucktext ist in TEI-Lite codiert und folgt damit dem gängigen Standard. Der Fokus des Projekts liegt vielmehr auf einer sehr weit gehenden Tiefenerschließung, die in einem eigenen lokalen Datenmodell auf der Basis einer relationalen Datenbank abgebildet ist. Damit ist auch der technische Rahmen der Umsetzung abgesteckt: Die XML-Daten der Volltexte und die weiteren Erschließungsinformationen werden in einerDatenbank verwaltet; PHP-Skripte sorgen für die Transformation der XML-Daten, die Kommunikation mit der Datenbank und die Generierung der Web-Präsentation und weiterer Ausgabeformen.

7In der Benutzung präsentiert sich die Teutsche Akademie zunächst gefällig und professionell gestaltet. Die prinzipielle Dreigliedrigkeit des Projekts ist bei der ersten Benutzung verwirrend, entbehrt aber nicht einer gewissen Logik: Im Grunde bilden die Projektbeschreibung, die deutsche Ausgabe und die lateinische Ausgabe eigenständige Websites, die eine gemeinsame visuelle Gestaltung haben, funktional aber nicht in eine Gesamtausgabe integriert sind. Eine klarere Kennzeichnung des ‘Sie sind jetzt hier …’ z.B. durch prominente Titel (Projekt vs. Teutsche Akademie vs.[zu bildender prägnanter Titel für die lateinische Ausgabe]) würde vermeiden, dass man sich zuweilen fragt, in welchem Inhaltsbereich man sich eigentlich befindet, zumal bei einem Wechsel der Bereiche immer neue Fenster bzw. Tabs aufgemacht werden.

Abb. 3: Kopfbereiche der drei Sandrart-net-Websites: Projekt (sandrart.net) – deutsche Ausgabe (ta.sandrart.net) – lateinische Ausgabe (la.sandrart.net).

8 Insgesamt funktioniert die Navigation sehr zufriedenstellend. Die einzelnen Navigationselemente wechseln zwar im Durchgang von der Startseite zu den Anzeigebereichen die Position, doch findet man sie immer wieder, um zu den gewünschten Inhalten zu kommen. Das Browsing zu und in den Inhalten erfolgt hauptsächlich durch ein Blättern im Werk oder über die Werkgliederung. Ist man erst im Werk, dann kann man gezielt Seiten ansteuern sowie über gleich zwei Sets an Schaltflächen vorwärts und rückwärts blättern. Die Faksimiles können gesondert vergrößert betrachtet werden, wobei eine Lupenfunktion die Betrachtung von Details erlaubt – dies aber nicht in besonderer Tiefe (s.o.). Ein etwas verstecktes Kontextmenü bietet Wege zu anderen Abschnitten und zu einer Galerieansicht und mit einem Optionen-Menü kann der Benutzer einstellen, welche Informationen im Text hervorgehoben oder ein- bzw. ausgeblendet werden sollen und ob für Fraktur und Antiqua in der Vorlage die gleiche Schrift in der digitalen Ausgabe verwendet wird. Positionierung und Zusammenspiel der verschiedenen Funktionselemente zum Browsing wirken nicht unbedingt wie aus einem Guss, erfüllen aber nach einer nicht allzu langen Eingewöhnungszeit ihren Zweck. Die Suche ist auf gleich zwei Wegen zu erreichen: Zum Einen ist bei der Darstellung von Inhalten ein Eingabefeld immer präsent, zum anderen gibt es einen Menüpunkt ‘Suchen’. Dabei wird nicht unmittelbar klar, ob es sich um die gleiche Suche mit dem gleichen Funktionsumfang handelt: während zum Suchfeld im Inhaltsbereich eine Unterscheidung zwischen ‘Volltextsuche’ und ‘Gesamtsuche’ angeboten wird, weist die ‘Suchseite’ darauf hin, dass es sich um eine ‘facettierte’ Suche handelt. Das Ergebnis entspricht dann der ‘Gesamtsuche’ vom Inhaltsbereich aus. Facettiert bedeutet hier, dass die Suchtreffer nach den Trefferbereichen Volltext, Kommentare, Personen, Orten, Bibliografie und Kunstwerkeregister gruppiert werden. Insgesamt geben die Suche bzw. die von ihr erzeugten Trefferlisten einen sehr guten Überblick, welche Stichworte in welchen Inhaltsbereichen zu finden sind und leiten dann zu den entsprechenden Stellen weiter, in denen das Suchwort zur besseren Orientierung hervorgehoben ist.

Abb. 4: Kontextmenü zu einer aufgerufenen Textseite bzw. Darstellungsoptionen.

9 Zu den besonderen Stärken der digitalen Teutschen Akademie gehört die Tiefenerschließung und ihre Nutzbarmachung in den Registern zu den Personen, Orten, Kunstwerken und Literatur. Diese Register bieten eine eigene Suche, eigene Navigationsmöglichkeiten und teilweise eigene Kategorisierungen und gehen damit inhaltlich und funktional weit über das hinaus, was man bislang als Register in Editionen gewohnt war und erwarten konnte. Im Personenregister ist eine kategoriale Filterung ebenso möglich wie eine zeitliche Filterung mittels dessen, was man einen ‘Chrono-Slider’ nennen könnte und das sich etwas unintuitiv hinter einer Checkbox verbirgt, die erst aktiviert werden muss. Das Kunstwerkeregister erlaubt eine Filterung nach Gattung; die Bibliografie hat eine Kategorienfilterung und zwei weitere einschränkende Kriterien.Die einzelnen Einträge in den Registern bieten eine beeindruckende Informationsfülle und ähneln eher eigenständigen Dossiers. Für die Personen werden z.B. nicht nur das Vorkommen und die verschiedenen Bezeichnungen im Text nachgewiesen, sondern auch ‘Basisdaten’, im Grunde schon Kurzbiografien, geboten, eine Zuordnung zu Künstlerkategorien vorgenommen und die Konfession bestimmt. Weiterhin wird ein Netz an Bezügen zu anderen Personen und zu Kunstwerken aufgespannt und Links zu weiteren externen Ressourcen und Referenzdatenbanken angeboten. Dies alles basiert auf der Identifikation der Informationsobjekte mittels Normdaten (bei Personen z.B. über die GND-Nummer) und der umfassenden Verwendung von Ansätzen aus dem Bereich des Semantic Web.

Abb. 5: Personendossier.

10 Ähnlich beeindruckend ist die Erfassung und Erschließung der von Sandrart erwähnten Kunstwerke. Auch hier wird die Erwähnung in Text oder Kommentar nachgewiesen, verschiedene Basisdaten gegeben, Bezüge zu anderen Personen oder Kunstwerken modelliert, dargestellte Personen erfasst, Literatur nachgewiesen und sogar Abbildungen aus anderen Quellen eingebunden!

Abb. 6: ‘Chrono-Slider’ zur zeitlichen Filterung von Einträgen im Personenregister.

11 Sandrart.net bietet eine ungewöhnlich tief erschlossene Ressource, die in der kunsthistorischen Forschung sehr gut benutzbar sein sollte. In ihrer Gebundenheit an enge DFG-Förderzyklen kann sie nur einen bestimmten Forschungsstand, nämlich den der Jahre 2007-2012 abbilden. Dennoch muss sie auf eine möglichst langfristige Nutzbarkeit ausgerichtet sein. Das Projekt hat auch auf diese Herausforderung Antworten gefunden, die nur als vorbildlich bezeichnet werden können. Die Website selbst ist sehr funktional und in einem zurückhaltenden Design angelegt, so dass man auch in einigen Jahren noch gut mit ihr wird arbeiten können. Von besonderer Bedeutung ist, dass zu allen Inhalten ‘permanente URLs’ angegeben werden, mit denen eine dauerhafte Adressierung und Zitierfähigkeit vorbereitet wird, die auch einen Wechsel der Technik oder der anbietenden Einrichtung überdauern kann. Hierzu werden auch explizit ‘Zitationshinweise und -richtlinien’ gegeben. Für die langfristige Nutzbarkeit der Grunddaten sorgt ihre Codierung in TEI-XML. Von besonderem Wert in der Zukunft könnte die Bereitstellung der Erschließungsinformationen aus der Datenbank für die weitere Verwendung in externen Kontexten sein. Hier bietet sandrart.net drei Services an: (1.) Für die erschlossenen Personen steht eine PND-Beacon-Datei bereit,1 mit der das Vorkommen von Personen in der Teutschen Akademie nachgewiesen wird. Diese Datei wird momentan z.B. von einem Wikipedia-Toolserver genutzt, so dass man auf dem Weg von Personenartikeln in der Wikipedia über die Wikipedia-Personensuche zu den verschiedenen Datenquellen auch zum Personendossier in sandrart.net kommt.2 (2.) Ganz im Sinne von aktuellen Semantic-Web-Ansätzen und der Forderung, wissenschaftliche Informationen sollten als ‘Linked Open Data’ verfügbar gemacht werden, bietet sandrart.net einen großen Teil der Erschließungsinformationen auch als Bezugs-Tripel in RDF an (zuletzt 145.000 Stück). Dabei werden vor allem Angaben zu Personen, Orten, Kunstwerken und bibliografischen Objekten unter Verwendung bestehender Ontologien wie CIDOC-CRM semantisch beschrieben. Diese Daten können auch en bloc als RDF-Dump heruntergeladen werden.3 (3.) Für die unmittelbare Integration in andere Projekte oder Portale steht für den Abruf von Datenbankinhalten außerdem eine REST-Schnittstelle zur Verfügung. Diese liefert alle Informationen zu Kunstwerken, Personen, Orten und Bibliografica wahlweise in XML oder JSON aus. Dabei können sie über die projektinternen Identifikatoren angesprochen werden oder über die Normdaten aus anderen ‘Referenzquellen’. Dazu gehören nicht nur die GND (mit PND, SWD und GKD), sondern z.B. auch der TGN (Getty Thesaurus of Geographic Names), das British Museum, VD16/17 und andere Projekte und Institutionen, die Identifikatoren für bestimmte Objektklassen vergeben. Mit insgesamt 17 Referenzquellen dürfte fast alles abgedeckt sein, was fachlich und thematisch überhaupt in Frage kommt und der weiteren Vernetzung und Nachnutzbarkeit der Daten dienen könnte. Diese stehen selbst wieder unter einer Creative-Commons-Lizenz (BY-NC-SA), um ihre Verwendung auch rechtlich abzusichern.

Abb. 7: Informationen (hier: zum Künstler Hans von Aachen) aus sandrart.net als RDF nach CIDOC-CRM und anderen Ontologien.

12 Die Erschließungsinformationen aus sandrart.net sind in vorbildlicher Weise zugänglich und nutzbar gemacht. Die mehrfachen Exportformate lassen keinen Wunsch offen. Aber auch die Bilder und Texte sind mit ihren PURLs gut adressierbar und grundsätzlich dauerhaft referenzierbar. Die letzten möglichen Probleme würden aus dem Projektcharakter der Ressource und der Frage nach der dauerhaften institutionellen Anbindung resultieren. Aber auch hier ist schon Vorsorge getroffen. Die Volltexte in TEI sollen in das Deutsche Textarchiv (DTA)4 integriert werden. Ein vollständiger Download der XML-Daten für die weitere wissenschaftliche Nutzung und Auswertung wäre dort möglich, es gibt ihn aber auch jetzt schon in mehreren Ausprägungen, z.B. mit und ohne Named Entities und ihre Norm-Identifikatoren.5 Mit dem Ende der Projektlaufzeit sollten alle Inhalte und die gesamte Installation an die Herzog-August-Bibliothek (HAB) in Wolfenbüttel umziehen und werden dann dort dauerhaft gehostet. Auch dieses Vorgehen kann nur als die derzeit beste denkbare Lösung bezeichnet werden, hat doch die HAB einen Sammlungsschwerpunkt für die frühe Neuzeit und übernimmt ausdrücklich die Verantwortung für die dauerhafte Bereitstellung auch digitaler Ausgaben und Erschließungsinformationen in diesem Bereich. Die Wahl einer Domain wie ‘sandrart.net’, die von einer bestimmten Institution unabhängig ist, hat dabei den problemlosen Umzug auf andere Server schon vorbereitet.Spätestens in Wolfenbüttel ist davon auszugehen, dass sandrart.net auch in der mittleren und längeren Zukunft unter gleich bleibenden Adressen erreichbar und verlinkbar wäre. Abzuwarten bleibt allerdings, ob wirklich alle Schnittstellen (z.B. die REST-Schnittstelle) und die technische Installation, so wie sie jetzt ist, erhalten bleiben werden, oder ob die Inhalte eines Tages in das generische Angebot der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek eingehen und die projektspezifische Oberfläche oder Teile der bisherigen Funktionalitäten dann verschwinden werden.

13Die vorliegende digitale Ausgabe der Teutschen Akademie kann der Forschung vielfältigen Nutzen stiften. Auf vier sei hingewiesen: (1.) Der traditionelle Zugang, das ‘Lesen’ oder lesende Nachschlagen des Werkes wird durch das gut erreichbare Faksimile, den zuverlässigen Volltext und die erschließenden und kommentierenden Zusatzinformationen in einer Weise unterstützt, die nur theoretisch auch in einer gedruckten Ausgabe möglich gewesen wäre. Diese hätte aber weder das Vollfaksimile, noch die Menge der Kommentare und Erschließungsinformationen aufnehmen können und wäre sehr viel weniger komfortabel – nämlich unabhängig von Zeit, Ort und Geldbeutel – erreichbar gewesen. Hinzu kommt (2.) die jetzt vielleicht naheliegendste Nutzungsform des gezielten Recherchierens nach Wörtern, Künstlern, Kunstwerken und deren weiteren Kontexten. Schließlich ist davon auszugehen, dass die Teutsche Akademie vor allem als Quelle von Forschungen benutzt wird, die sich auf bestimmte Zeiten, Künstler, Kunstwerke oder andere kunsthistorische Fragestellungen beziehen. Hier ist der Charakter eines Informationsportals ebenso wichtig wie die unmittelbare Vernetzbarkeit der Informationen in einer sich potentiell im Digitalen vollziehenden und präsentierenden Forschung. Als weiterer (3.) Bereich der Nutzung ist auf die mögliche analytische Verwendung des Gesamtdatenbestandes hinzuweisen. Das betrifft zum Einen den Volltext, der als TEI-XML sowohl als einzelnes (z.B. auch sprachliches) Werk untersucht werden kann, als auch als Teil eines z.B. unter kunsthistorischer Perspektive zusammengestellten größeren Korpus. Das betrifft zum anderen aber auch die Erschließungsinformationen als systematischen Datenpool, der auf einer semantischen Ebene ein Bild der kunsthistorischen Wahrnehmung des 17. Jahrhunderts bietet. Auch hier könnten alte und neue Fragestellungen nun auf eine neue Weise operationalisiert werden, in der aufbereitetes Wissen systematisch ausgewertet würde und damit zu neuen Antworten führen könnte. Schließlich bildet sandrart.net (4.) selbst ein Forschungsergebnis, auf dem weiter aufgebaut werden kann, weil hier die Kontextualität des Werkes aufgearbeitet ist: Die weiteren Bezüge der genannten Texte, Personen und Kunstwerke sind aufgedeckt, der Bezugsrahmen, in dem sich Joachim von Sandrart bewegt hat, sein ‘Horizont’ sozusagen, ist ausgeleuchtet, seine Quellen aufgedeckt und die vielfältigen Verbindungen der besprochenen Gegenstände sind explizit gemacht.

14Aber was ist sandrat.net jetzt eigentlich? Auf der Projektseite steht, es sei ‘eine netzbasierte Forschungsplattform zur Kunst- und Kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts’. Nun kann man unter dem Begriff ‘Forschungsplattform’ verschiedenes verstehen. Ich verstehe darunter eine Plattform bzw. eine ‘Umgebung’, auf bzw. in der Forschung stattfindet und ihren Niederschlag findet. Das trifft zu, wenn man die Projektlaufzeit in den Vordergrund stellt. Zu dieser Zeit hat offensichtlich eine breite Forschung, auch in Kollaboration mit externen Beiträgern stattgefunden, wie man an den Sachkommentaren sehen kann. Sandrart.net ist aber mit dem Ende der Projektförderung in einen eher statischen Zustand übergegangen, verliert dabei den Charakter einer Forschungsplattform und wird eher zu einer grundlegenden Informationsressource, die in anderen Kontexten eingebunden und genutzt werden kann. Das aber muss gar kein Nachteil sein, sondern entspricht der Logik der Forschungsförderung und Forschungspraxis, bei der erreichte Stände zu einem abschließenden Publikationszeitpunkt ‘eingefroren’ werden. Von den Projektverantwortlichen wird auch deutlich gesagt, dass die Edition einen finalen Zustand erreicht hat und nicht den Anspruch immerwährender Offenheit und Erweiterung erhebt. Auf der anderen Seite ist aber nicht auszuschließen, dass die HAB in Zukunft dafür sorgen wird, dass sandrart.net nicht nur zugänglich bleibt, sondern vielleicht auch um neue Informationen ergänzt wird, wo sie von den Fachwissenschaften zugeliefert werden. An anderer Stelle kann man auf der Webseite lesen: ‘Ziel des Projekts war eine kommentierte und informationstechnisch stark an­ge­reicherte Online-Edition’. Dieses Ziel muss man auf jeden Fall als in vorbildlicher Weise erreicht bezeichnen. Im Rahmen der hier begonnenen Reihe von Besprechungen ‘digitaler Editionen’ muss allerdings dieser Begriff genauer unter die Lupe genommen werden. Traditionell zielt der Begriff der ‘Edition’ häufig auf textkritische und textkonstitutive Operationen. Diese stehen hier nicht im Vordergrund, auch wenn der Umgang mit dem Text, seine Transkription und die Dokumentation der editorischen Regeln allen wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Daneben gibt es aber auch schon lange andere editorische Schulen, wie z.B. das ‘documentary editing’, die weniger auf Textkritik und mehr auf die äußere Erschließung der Dokumente und die innere oder ‘Tiefenerschließung’ ihres Informationsgehaltes zielen. In diesem Rahmen handelt es sich bei sandrart.net auf jeden Fall um eine (wissenschaftliche) digitale Edition. Wenn eine solche wiederum durch die Aspekte der Wiedergabe und Erschließung gekennzeichnet ist, dann muss sandrart.net insgesamt als Reproduktionsprojekt als sehr gut und als Erschließungsprojekt als grandios und vorbildlich bezeichnet werden.

15Im Einzelnen ist zusammenzufassen, dass die Basisinhalte (Bilder, Texte) tadellos aufbereitet sind. Die Präsentationsoberfläche ist in ihrer Grundstruktur und ihren Funktionalitäten gut benutzbar und mächtig, wenn auch manchmal etwas verwirrend. Die Dokumentation des Projekts und seiner Vorgehensweise deckt in vorbildlicher Weise alle wesentlichen Bereiche ab, auch wenn man sich vielleicht mehr kontextualisierende Informationen zum Werk und seiner Genese gewünscht hätte. Im Bereich der Tiefenerschließung schließlich setzt das Projekt wirklich Maßstäbe und leistet einen wertvollen Beitrag zur Definition des state of the art. Sowohl in der Art und Menge der Erschließungsinformationen als auch in ihrer funktionalen Nutzung, in ihrer Präsentation und in der Vernetzung mit anderen Ressourcen bleiben kaum Wünsche offen. Die Teutsche Akademie und die in ihr enthaltenen Informationen sind insgesamt so aufbereitet, dass sie in einem kommenden semantischen Netz der kunsthistorischen Forschung unmittelbar eingebunden werden kann. In der Erschließungund Aufbereitung von Wissen und in der Vorbereitung einer stabilen und dauerhaft nutzbaren und nachnutzbaren wissenschaftlichen Ressource ist sandrart.net somit vorbildhaft und zur Orientierung für ähnlich gelagerte Vorhaben nur zu empfehlen.



Anmerkungen

[1]  Siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:PND/BEACON.

[2]  Wenn in der Beacon-Datei (http://ta.sandrart.net/services/pnd-beacon/) mit ‘118643525’ Hans von Aachen identifiziert ist, dann führt der Wikipedia-Artikel http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_von_Aachen zum entsprechenden Treffer in der Wikipedia-Personensuche (http://toolserver.org/~apper/pd/person/Hans_von_Aachen), die auf die formale Adresse http://ta.sandrart.net/services/pnd-beacon/?pnd=118643525 verweist, die sandrart-seitig wiederum zu einer Darstellungsseite unter http://ta.sandrart.net/edition/person/view/2162 aufgelöst wird.

[3]  Siehe http://ta.sandrart.net/de/info/services/lod-rdf/.

[4]  Siehe http://www.deutschestextarchiv.de/ – bis zum Mai 2014 ist diese Ankündigung allerdings noch nicht wahr gemacht worden.


[]  Nach Auskunft von Christian Thomas vom DTA waren die Texte bereits im April 2013 integriert worden. Innerhalb eines abgestuften Prozesses der Sichtbarkeit tauchten sie nur in der allgemeinen Browsing-Liste noch nicht auf, die der Rezensent konsultiert hat.


[5]  Siehe http://ta.sandrart.net/de/info/technik/tei-download/.


Bibliographie

Projektseite: http://www.sandrart.net/; Sandrarts ‘Teutsche Akademie’: http://ta.sandrart.net/; Lateinische Ausgabe: http://la.sandrart.net/.

Projektbericht: Thorsten Wübbena, Carsten Blüm und Anna Schreurs.’Sandrart.net – An online edition of a seventeenth-century text.’ New Technologies in Medieval and Renaissance Studies. Vol. 4. Eds. Gniady, Tassie, Kris McAbee und Jessica Murphy. Iter/ACMRS 2014. Deutsche Fassung des Beitrags: Thorsten Wübbena, Carsten Blüm und Anna Schreurs.’Sandrart.net: Eine Online-Edition eines Textes des 17. Jahrhunderts.’ Preprint: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/23398.

Sandrart als Thema bei arthistoricum.net: http://www.arthistoricum.net/themen/themenportale/geschichte-der-kunstgeschichte/quellen-zur-geschichte-der-kunstgeschichte-digital/joachim-von-sandrart-1606-1688.

Katalog zur Ausstellung anlässlich der Übernahme von sandrart.net durch die Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel: Schreurs, Anna, ed. Unter Minervas Schutz – Bildung durch Kunst in Joachim von Sandrarts Teutscher Academie, Katalog der Ausstellung in Wolfenbüttel (Herzog August Bibliothek), 02.09.2012–24.02.2012. Wiesbaden: Harrasowitz 2012.


Abbildungen

Abb. 1: Joachim von Sandrart, TA 1675, I, Titelseiten, S. 8.

Abb. 2: Werktitel und Illustration zur ars mensura, TA 1675, I, Buch 1 (Architektur), S. 7.

Abb. 3: Kopfbereiche der drei Sandrart-net-Websites: Projekt (sandrart.net) – deutsche Ausgabe (ta.sandrart.net) – lateinische Ausgabe (la.sandrart.net).

Abb. 4: Kontextmenü zu einer aufgerufenen Textseite bzw. Darstellungsoptionen.

Abb. 5: Personendossier.

Abb. 6: ‘Chrono-Slider’ zur zeitlichen Filterung von Einträgen im Personenregister.

Abb. 7: Informationen (hier: zum Künstler Hans von Aachen) aus sandrart.net als RDF nach CIDOC-CRM und anderen Ontologien.